Es ist ok, beim Sex zu weinen und es ist ok, (keinen) Spaß im Bett zu haben – Sexualität von Eltern

Wann, wo und wie haben Eltern eigentlich Sex?

Sex ist ein wichtiges Thema für viele Paare in meiner Praxis für (Online-) Paarberatung und Paartherapie. Wie für andere Bereichen unseres Lebens auch, haben wir manchmal ganz konkrete Vorstellungen davon, wie wir uns beim Sex verhalten sollten, damit "es richtig" ist. Oder was zu tun ist, wenn es rund um die partnerschaftliche Sexualität Konflikte gibt. Und manchmal sind wir mit diesen Vorstellungen ganz schön weit von uns selbst und unserem Partner oder unserer Partnerin entfernt.

In diesem Artikel möchte ich euch als Eltern gerne einige Sichtweisen anbieten zu eurer Sexualität anbieten.

 

Mögliche Sichtweisen rund um die Sexualität von Eltern von Babys, Klein- und Schulkindern

Es ist ok, zu genießen.

Dieser Satz liest und sagt sich ganz leicht und gleichzeitig kann das Genießen eine große Hürde sein. Gerade wenn wir es als Eltern gewohnt sind, im Funktionsmodus durch den Alltag zu hetzen, fällt es uns oft schwer in einen Zustand zu gelangen, in dem wir Momente mit allen Sinnen genießen können. Und auch unser Selbstwert spielt hier eine Rolle: wir dürfen es uns wert sein, zu genießen!

 

Es ist ok, keinen Spaß zu haben.

Viele Paare mit Kindern finden wenig Zeit für gemeinsame Stunden. In der gemeinsamen Zeit, zum Beispiel am Abend oder am Wochenende, spielen oder toben dann die Kinder um das Paar herum oder es sind noch Dinge zu erledigen. Noch seltener als gemeinsame Stunden sind gemeinsame, ungestörte Stunden – also Zeit, in der Sex möglich wäre. Wenn wir Eltern (junger) Kinder sind und solche Momente dann da sind, haben wir besonders hohe Erwartungen. Dann soll es schon perfekt sein – was im Leben selten zutrifft. Missgeschicke und Unstimmigkeiten können vorkommen – auch im Bett.

 

Es ist ok beim Sex angespannt zu sein, weil ihr nicht wollt, dass die Kinder euch hören.

Gerade Eltern mit jungen Kindern stellen sich die Frage, wo sie überhaupt Sex haben könnten. Viele junge Eltern wollen einerseits in der Nähe des Babys oder Kleinkindes sein und andererseits gerne ihre Lust aufeinander auch körperlich-stimmlich zum Ausdruck bringen. Es kann Phasen im Leben geben, in denen sich hier keine rundum zufriedenstellende Lösung finden lässt. Das ist ok. Und manchmal lassen sich neue Möglichkeiten finden, wenn ein Paar „um die Ecke denkt“. Wenn beispielsweise statt dem Schlafzimmer ein anderes Zimmer für ein Date zu zweit genutzt.

 

Es ist ok, wenn du als Frau deinen Körper - auch viele Jahre nach der Geburt der Kinder - noch nicht wieder liebevoll annehmen kannst.

Mit diesem Punkt spreche ich Frauen an: Dein Körper hat ein Jahr lang einen anderen Menschen versorgt und wachsen lassen. Vielleicht ist dein Körper nach einer Schwangerschaft oder einer Geburt nicht mehr der, den du kanntest und mochtest. Es braucht manchmal einige Zeit, sich wieder wohl zu fühlen – und auch: sich damit wohlzufühlen, sich vor einem anderen Menschen zu zeigen.

 

Es ist ok Grenzen zu kommunizieren. Unser Körper weiß ganz genau, wo diese Grenzen liegen, wir dürfen zuhören!

In meiner paartherapeutischen (Online-) Praxis berichten Frauen und Männer immer wieder davon, dass sie dem Partner bzw. der Partnerin zuliebe Dinge mitmachen, mit denen sie sich unwohl fühlen. Wenn der Brustraum sich verengt oder irgendwo im Körper plötzlich Spannungen spürbar sind, kann dies ein Zeichen dafür sein, dass wir über eine eigene Grenze hinweggegangen sind. Oft schaltet sich dann der Kopf ein, der nach Gründen sucht, warum dies oder jenes „doch gar nicht so schlimm“ ist und man doch „einfach mal mitmachen“ könnte. Nur entfernen wir uns dann von uns selbst und echtes Genießen ist nicht mehr möglich. Eine respektvolle Beziehung verkraftet ein klares „Nein“, wenn ein Partner oder eine Partnerin etwas nicht will. Es gilt auch:

 

Es ist ok aufzuhören, wenn du spürst, dass du nicht weitermachen möchtest - zum Beispiel weil Erinnerungen hochkommen.

 

Es ist ok Fantasien zu haben, die dich oder deinen Partner/ deine Partnerin irritieren.

Gedanken sind wie sie sind: manche unserer Gedanken gefallen und andere vielleicht nicht. Manche Gedanken machen und Freude, andere machen uns vielleicht Angst. Meines Erachtens ist wichtig, dass wir bedenken, dass wir nicht unbedingt kontrollieren können, was wir denken, wohl aber liegt es in unserer Hand, wie wir mit unseren Gedanken umgehen. Wir müssen nicht alles annehmen und schon gar nicht umsetzen, was unsere Gedanken uns vorschlagen. Wenn wir sexuelle Fantasien haben, die uns einerseits verunsichern und andererseits unsere Neugier wecken, können wir das Gespräch mit unserem Partner oder unserer Partner suchen und beispielsweise sagen: „Ich hatte da so einen Gedanken, ich weiß selbst noch nicht, was ich davon halten soll, aber ich würde gerne mir dir darüber sprechen.“

 

Es ist ok, (erst einmal) nicht zu wissen, was ihr den Kindern sagen sollt, wenn sie euch fragen, was Sex ist.

Mit der Frage, wie wir mit jungen und älteren Kindern über Sex sprechen können, habe ich mich in einem eigenständigen Artikel beschäftigt. Lest gerne hier nach: "Sexualität und Familie – psychologische Grundlagen und Kinderbuch-Empfehlungen für einen offenen Umgang mit Sexualität"

 

Es ist ok, keinen Sex zu haben.

Manche Paare haben keinen Sex. Übergangsweise oder dauerhaft. Und das ist ok. Wie Menschen ihre Beziehung gestalten und wieviel Sex darin Platz finden sollte sind Fragen, die diese Menschen miteinander verhandeln dürfen. Ein allgemeingültiges "richtig" gibt es genauso wenig wie ein "falsch". Spannend kann die Frage sein, wie ein gemeinsamer Weg aussehen könnte, wenn ein Partner oder eine Partnerin dauerhaft mehr bzw. weniger Sex haben möchte als der oder die andere. Hier dürfen Paare genauer hinsehen: Wie wir mit unseren Bedürfnissen umgehen, wenn sie in verschiedene Richtungen gehen.

 

Sexualität als Bühne für existentielle Fragen und Alltagsthemen

Beim Sex geht es selten nur um Sex. Und auch die Sichtweisen, die ich euch hier für einen wohlwollenden Blick auf eure Sexualität anbieten möchte, beinhalten Haltungen zum Leben: Es geht darum, wie wir mit uns selbst umgehen - und mit den Menschen, die uns nah sind. Wo bleiben wir bei unseren eigenen Wünschen und wo eifern wir von außen vorgegebenen Maßstäben nach? Wie sieht für uns eine optimale Balance aus Nähe und Freiraum aus? Wie gehen wir damit um, wenn eine Sache schief gelaufen ist (das Thema "(Un-) Perfektionismus in der Familie" habe ich in meinem psychologischen Kinderbuch "Mia und Mama machen Marmelade behandelt)? Wie gehen wir mit eigenen Grenzen um und denen unserer Lieblingsmenschen?

Es gibt übrigens immer einen Partner/ eine Partnerin mit schwächerer und eine/ n mit stärkerer Sehnsucht. Das gilt nicht nur für Sex, sondern für Körperkontakt im Allgemeinen und genauso auch für Ruhe, Ordnung, Zeit mit dem Freundeskreis, Verwandtenbesuche usw.

In den 15 Jahren, die ich nun mit Elternpaaren arbeite, habe ich das gelernt: Dass es vielleicht Tendenzen gibt, was häufiger bei Paaren mit Kindern eine Rolle spielt, dass es Tendenzen für Männer und für Frauen gibt, aber dass es immer auch ganz anders sein kann! Und da möchte ich mich gerne wiederholen: Es gibt kein "richtig" und kein "falsch". Vielmehr dürfen Paare auf die Suche gehen - nach ihrer Sexualität.


Wer schreibt hier?

 

Dies ist das Blog des Halthafens von Julia Schneider, Psychologin und Mutter von zwei Kindern.

 

Meine Texte ergeben sich aus der Beschäftigung mit psychologischer und systemischer Literatur und Forschung, meinen Erfahrungen in der Paartherapie mit Eltern in meiner Praxis in Darmstadt und der Paarberatung und Paartherapie online sowie aus meinem Leben als Mama von zwei Kindern. Aus meiner Arbeit heraus entwickele ich außerdem psychologische Kinderbücher. Wenn du über neue Texte informiert werden magst, folge mir gerne auf Instagram oder trage dich gern für meinen Newsletter ein.

 


Hier geht es zu meiner Checkliste für Paare mit KindernMit dieser erhaltet ihr weitere Anregungen für den Alltag als Eltern- und Liebespaar. Gleichzeitig lernt ihr meine Arbeitsweise als systemische (Online-) Paartherapeutin besser kennen.