Langeweile in der Beziehung - Was eine Partnerschaft mit einem Garten zu tun hat und warum wir Langeweile gar nicht bekämpfen müssen

Langeweile in der Partnerschaft hat keinen guten Ruf

Wenn Paare viele Jahre oder Jahrzehnte zusammen sind, wird Vieles zur Gewohnheit. Die Funken sprühen einfach nicht mehr bei jeder Berührung über. Das ist ganz normal. Es gibt verschiedenen Phasen in einer Liebesbeziehung und das erste Hochgefühl - das Verliebtsein im engeren Sinne - ist etwa nach den ersten 9 bis 24 Monaten vorbei.  

 

Langeweile in der Beziehung hat einen schlechten Ruf. Manchmal wird sie als „Beziehungskiller“ bezeichnet, was in einer Hochgeschwindigkeits-Gesellschaft nicht verwunderlich ist. Mit diesem Artikel möchte ich gerne eine Lanze brechen für die Langeweile. Denn in der Langeweile als ruhiger Pol in einer Liebesbeziehung steckt aus meiner Sicht viel Wertvolles.

 

Um euch zu zeigen, was ich meine, möchte ich euch zu einer Übung einladen.

 

 

Eine Übung aus der (Online-) Paartherapie

Nachfolgend findet ihr die Anleitung zur Übung „Garten der Partnerschaft“. Die Übung habe ich auf der Basis meiner Arbeit als (Online-) Paartherapeutin für Eltern entwickelt. Ihr könnt die Übung gemeinsam durchführen oder aber auch jeder für sich einzeln. Daher spreche ich euch als Einzelperson an.

 

Nimm dir für diese Übung einige Minuten Zeit. Wenn du magst, schließe zwischendurch immer mal wieder die Augen, um deine Vorstellungskraft noch besser nutzen zu können.

 

 

Garten der Partnerschaft

Stell dir vor, eure Partnerschaft ist ein Garten. In diesem Garten stehst du nun. Du siehst dich ganz in Ruhe um. Du siehst viele Pflanzen um dich herum. Du siehst Blumen, die auffallen durch ihren Duft, leuchtende Farben und besondere Formen. Das sind die schönen gemeinsamen Momente, in denen ihr euch wohl gefühlt und euer Glück gespürt habt. Momente, die aufregend, wild, besonders schön oder lustig waren. Sieh dir diese Blumen ruhig etwas genauer an. Welche Momente kannst du entdecken? Geh in deiner Erinnerung dorthin zurück.

 

Im Alltag sehen wir diese besonderen Momente manchmal nicht– dennoch sind sie da; fest verankert in uns.

 

Wenn du deinen Blick nun noch einmal durch den Garten streifen lässt, dann entdeckst du auch jede Menge Unkraut. Unkraut willst du vielleicht gar nicht so gerne im Garten haben. Das Unkraut beansprucht Ressourcen für sich und verbreitet sich ziemlich schnell, wenn man nicht Acht gibt: Das sind Streitsituationen mit destruktiver Kritik und Vorwürfen, Rechtfertigungen, Gleichgültigkeit oder Desinteresse.

 

Wenn du genau hinsiehst, wirst du viele wichtige Funktionen des Unkrauts entdecken.

 

Die „Unkräuter“ auf den Sommerwiesen oder in den Gärten lockern beispielsweise mit ihren starken Wurzeln die Erde und erfüllen wichtige Funktionen. Ähnlich ist es mit euren Streitereien. Diese musst du nicht einfach wegjähten, sondern du kannst sie als wichtige Signalgeber betrachten, z.B. für Themen, die dir sehr wichtig sind oder Bedürfnisse, die für dich aktuell unerfüllt bleiben. Verweile hier einen Moment. Was gibt es für dich zu entdecken?

 

Du schaust wieder in den Garten und nun fällt dir etwas auf. Die meisten Pflanzen sind Grün. Grüne Pflanzen, die nicht besonders herausstechen. Weder im negativen noch im positiven Sinne. Du siehst Moospflanzen, Gräser, Hecken und Sträucher.

 

Für die Partnerschaft wird dies als „neutrale Zone“ bezeichnet. Das sind die Momente, in denen ihr auf unaufgeregte Art und Weise gemeinsam durch den Alltag geht und euch biologisch gesehen in einem Norm-Bereich befindet (Herzfrequenz und Blutdruck beispielsweise im „grünen Bereich“). Stell dir mal vor, dieses „Grün eurer Partnerschaft“ wäre weg – oder wäre bunt wie die farbenprächtigen Blumen! … Was wäre dann anders? Was würde vielleicht fehlen?

 

 

Langeweile in der Beziehung würdigen und gleichzeitig die Partnerschaft aktiv gestalten

Wenn du heute also damit beginnst, den Garten eurer Partnerschaft aktiv zu gestalten, dann kann es hilfreich sein, wenn du…

  • das Grün wertschätzt, d.h. die neutrale Zone wertschätzen lernst und ein gewisses Maß an „Langeweile“ in der Beziehung als etwas ganz Normales oder sogar Wünschenswertes betrachtest,
  • die wichtigen Funktionen des Unkrauts anerkennst und einen sinnvollen Umgang mit Stress und unerfüllten Bedürfnissen kultivierst und
  • Blumen pflanzt: du kannst den Rahmen dafür schaffen, in dem schöne gemeinsame Zeit möglich sein könnte.

Was könnte es ganz praktisch bedeuten, "Blumen zu Pflanzen" im eigenen Garten der Partnerschaft? Es bedeutet zunächst einmal, der Partnerschaft eine hohe Priorität zuzuweisen.

Ich glaube nicht daran, dass wir "gescheite" Beziehungen hinkriegen, wenn wir die Zeit mit unseren Lieblingsmenschen irgendwo zwischen unseren Aufgaben, Jobs und Orgas versuchen reinzumogeln, sie dauerhaft hintenanstellen. Vielmehr glaube ich daran, dass unser Leben reich und lebendig wird, wenn wir Prioritäten setzen zugunsten unserer Lieblingsmenschen - wenn wir unsere Beziehungen als zentral definieren während wir Aufgaben erfüllen, Jobs machen und Orgas erledigen.

Dass Partner*innen ihrer Beziehung eine hohe Priorität zuweisen ist beispielsweise an Punkten wie diesen erkennbar: 

  • Sich regelmäßig verabreden und diese Verabredungen nicht allzu oft absagen
  • Aktiv nach den Gemeinsamkeiten Ausschau halten: einem gemeinsamen Hobby, nach Musik, die beide mögen, Essen zubereiten, das beide lieben usw.
  • Sich immer wieder einmal erinnern, dass Körperkontakt für uns als Menschen wichtig ist und welche besondere Rolle der Körperkontakt in der Partnerschaft spielen darf

Sowohl-als-auch: Langeweile und Spannung in der Partnerschaft

Am Ende des Tages liegt in der Langeweile eine Chance. Als ein Bereich, der eine Art Basis für eine Liebesbeziehung bilden kann. Eine Basis, die Regeneration und Kraft spenden kann. Wir müssen die Langeweile nicht bekämpfen. Und wenn wir dies anerkennen, kommt uns manchmal sogar eine Idee, was wir mal wieder Spannendes miteinander machen könnten...

 


Diplom-Psychologin Julia Schneider
Diplom-Psychologin Julia Schneider

Wer schreibt hier?

 

Dies ist das Blog des Halthafens von Julia Schneider, Psychologin und Mutter von zwei Kindern.

 

Meine Texte ergeben sich aus der Beschäftigung mit psychologischer und systemischer Literatur und Forschung, meinen Erfahrungen in der Paartherapie mit Eltern in meiner Praxis in Darmstadt und der Paarberatung und Paartherapie online sowie aus meinem Leben als Mama von zwei Kindern. Aus meiner Arbeit heraus entwickele ich außerdem psychologische Kinderbücher. Wenn du über neue Texte informiert werden magst, folge mir gerne auf Instagram oder trage dich gern für meinen Newsletter ein.