Familienleben, Partnerschaft und (fehlende) Wertschätzung: Über das „Beziehungsbügeleisen“ für Paare mit Kindern

(Fehlende) Wertschätzung als Thema in der (Online-) Paartherapie

In der (Online-) Paartherapie spreche ich mit Eltern- und Liebespaaren manchmal über das "Beziehungsbügeleisen".

 

Was haben unsere Partnerschaften und die Beziehungen zu unseren Kindern mit bügeln zu tun?

 

Bügeleisen sind Hilfsmittel, um Stoffe zu glätten bzw. in Form zu bringen. Dafür nutzen sie Wärme.

Ich benutze ehrlich gesagt selten bis nie ein Bügeleisen für Kleidung oder Wäsche. Wenn meine Kleidung ein paar leichte Falten wirft, stört mich das nicht. Was mich als (Online-) Paar- und Familientherapeutin dagegen sehr interessiert, sind die Knitterfalten in Beziehungen: die Verletzungen und die Enttäuschungen.

Und wenn wir einen realistischen Blick auf Beziehungen wagen, zeigt sich, dass Falten und knittrige Stellen dazugehören. Immer - auch in den glücklichsten Beziehungen.

 

Der entscheidende Unterschied zwischen glücklichen und unglücklichen Paaren ist, dass sich die glücklichen Paare um die Verletzungen kümmern. Denn genauso wie beim Bügeln der knittrigen Wäsche braucht es in den Beziehungen zu unseren Lieblingsmenschen ebenfalls Wärme, um Missverständnisse und Verletzungen ausgleichen zu können.

 

Paare mit Kindern leben mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit für Verletzungen. In jungen Familien kümmern sich zwei Erwachsene größtenteils alleine um ein oder mehrere Kinder, häufig sind beide berufstätig und kümmern sich um den Haushalt sowie alle Aufgaben rund um den Familienalltag. Zeit- und Energieressourcen sind (zu) knapp.

Das führt dazu, dass…

  • für Bewegung, gesundes Essen, die Pflege von Freundschaften und Hobbies kaum Zeit bleibt,
  • eigene seelische Belastungen und "sensible Stellen" im Alltag deutlicher spürbar sind
  • und Paare sich dadurch häufiger in einem Kampfmodus mit Vorwürfen und Beleidigungen begegnen, obwohl sie es gar nicht wollen,
  • Paare sich wenig oder gar nicht in Ruhe über Befindlichkeiten, Wünsche und eventuelle Missverständnisse, die im Alltag entstanden sind, austauschen.

Über Erschöpfung bei Eltern schreibe ich in meinen Blog-Artikeln immer wieder - viele Eltern sind betroffen.

 

 

Eine Verletzung kann durch fünf positive Erfahrungen ausgeglichen werden

Der amerikanische Paarpsychologe John Gottmann hat sich anhand von Videoaufnahmen genau angeschaut, was Menschen, die ihre Beziehung als eine glückliche Partnerschaft empfinden, machen. Ein Ergebnis von Gottmans Studien ist seine "5:1-Formel": In glücklichen Beziehungen ist das Verhältnis von "positivem" zu "negativem" Verhalten mindestens 5:1 - insbesondere auch während Streit- oder Konfliktsituationen. Eine negative Interaktion kann also durch fünf positive kompensiert werden. Ich finde das genaue zahlenmäßige Verhältnis gar nicht sooo wichtig. Vielmehr die Botschaft, dass die "guten" Momente die schlechten deutlich überwiegen müssen, damit wir in einer Beziehung glücklich sind.

 

„Positiv“ oder „negativ“ betrifft hierbei unser Empfinden von Sicherheit. Erlebte Sicherheit ist für uns grundlegend, auch in Bezug auf unsere Beziehungen. Denn nur, wenn wir uns sicher fühlen, geht – etwas vereinfacht formuliert - unser soziales Nervensystem an, was uns ermöglicht, dass wir für einen anderen Menschen offen sein und eine unbeschwerte Zeit miteinander gestalten können.

Wahrgenommene Sicherheit wirkt verbindend, wahrgenommene Unsicherheit wirkt trennend.

Es ist stets eine individuelle Frage, was Nähe zum Partner oder zur Partnerin schafft - und was trennende wirkt. Gleichzeitig gibt es einige Verhaltensweisen, die wahrscheinlich die meisten Menschen als Zurückweisung empfinden. Beispielsweise Gesten wie genervtes Stöhnen, Augenrollen oder auf eine Frage mit einer Gegenfrage zu reagieren wie etwa "Was geht dich das denn an?"

 

Von den meisten Menschen als bindungsstärkend werden beispielsweise erlebt:

  • Fragen, die Interesse zum Ausdruck bringen („Wie ist der Termin gelaufen, dem du so lange entgegengefiebert hast?“)
  • Aufmerksamkeiten (z.B. den Lieblingstee aus dem Supermarkt mitbringen)
  • Zärtlichkeiten (z.B. ein Kuss oder eine liebevolle Umarmung zur Begrüßung)
  • Unterstützung („Du siehst müde aus, ich mache den Abwasch heute!“)
  • Humorvoll auf Herausforderungen blicken und miteinander lachen
  • Erleben, dass der Partner oder die Partnerin den eigenen Einsatz für das Familienleben wahrnimmt
  • ein Dankeschön

Wenn also Paare mit Kindern mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit für Verletzungen leben und diese schwer für uns wiegen (denn: eine Verletzung kann wie oben beschrieben durch 5 positive Erlebnisse ausgeglichen werden), braucht es vielleicht die bewusste Entscheidung, sich konsequent um die Beziehung zu kümmern.

 

Wenn "das Verhältnis stimmt" können Paare mit schwierigen Situationen besser umgehen. Wenn sich der Partner oder die Partnerin am Abend ordentlich im Ton vergriffen hat, zwischen müden Kindern und dreckigem Geschirr schroff herumgebrüllt hat, dann ist dies einerseits menschlich und bedarf andererseits Beziehungspflege, um die Falten wieder glatt zu bügeln. Mit Beziehungspflege meine ich dabei weniger, dass auf dieses Verhalten dann 5 „gute Taten“ folgen müssten, sondern vielmehr eine grundsätzliche Haltung der Wertschätzung, die sich im gemeinsamem Miteinander in vielen kleinen Mini-Momenten zeigt. Eine Haltung, die transportiert: Ich sehe dich! Ich achte dich! Ich freue mich, dass du da bist!

 

Regelmäßiges wertschätzendes Verhalten ist also für die Stabilität und Zufriedenheit einer Beziehung bedeutsam. In den Gesprächen als (Online-) Paartherapeutin betrachte ich mit meinen Klient*innen ihre Beziehung manchmal als eine Schiffsreise durch das Meer des Lebens. Wertschätzung ist wie eine Art Treibstoff, der ein Beziehungs-Schiff antreibt und dabei hilft, gemeinsam auf Kurs zu bleiben.

 

In verschiedenen Lebensphasen kann sich diese unterschiedlich äußern.

 

Als frisch verliebtes Paar wird die Beziehung zunächst durch das Gefühl der Verliebtheit und die Begeisterung füreinander getragen.

Später sind es das gegenseitige Vertrauen, die Bereitschaft, auf Wünsche einzugehen und den Partner oder die Partnerin bei seinen Formen der alltäglichen Lebensbewältigung zu unterstützen. Je länger die Beziehung andauert, verleihen auch die geteilten Erinnerungen und gemeisterte Hürden der Beziehung Stabilität. Gegenseitige Unterstützung bei körperlichen Herausforderungen, zum Beispiel durch eine Geburt, gehören ebenfalls zur Wertschätzung von reifen Beziehungen.

 

Doch einige Dinge bleiben gleich… unsere Grundbedürfnisse: der Wunsch, für die eigenen Sichtweisen respektiert und als Mensch mit Macken und Stärken anerkannt zu werden, positive Formen von Körperkontakt zu erfahren und zu wissen, „dass da jemand ist“, wenn wir nicht weiterwissen.

 

 

5:1 für eine sichere Eltern-Kind-Bindung

Nicht nur wir Erwachsenen, sondern auch die jungen Menschlein in der Familie haben diese Grundbedürfnisse.

 

Eine kürzlich durchgeführte Studie zeigt, dass sich Gottmans 5:1 Formel auf die Eltern-Kind-Beziehung übertragen lässt (Heinrichs, Püffel, Lohaus, Konrad & Briegel, 2020). Die Studie zeigte, dass die Beziehung zwischen Eltern und Kindern durch einen überwiegend wertschätzenden Umgang langfristig gestärkt wurde. Ein Ergebnis, dass sich wunderbar in die Ergebnisse der modernen Bindungsforschung einfügt (in meinem psychologischen Kinderbuch "Ela, Elmo und die Zaubermomente" geht es darum, wie Bindung funktioniert und wie wir Kinder stärken können, wenn sie einen Menschen vermissen).

 

Wie können Eltern ihren Kindern Wertschätzung zukommen lassen?

Und kann eine wertschätzende Grundhaltung gegenüber dem Partner oder der Partnerin sowie gegenüber den Kindern gelebt werden?

Die Antworten auf diese Fragen sind für jede Familie ein bisschen unterschiedlich. So oder so wirkt die Qualität der Beziehungen innerhalb einer Familie wechselseitig aufeinander ein. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich Kinder sicher und geborgen fühlen, steigt, wenn Eltern einen wertschätzenden Umgang miteinander pflegen. Wenn ein wärmendes Familienklima spürbar ist. Wenn die Eltern sich gegenseitig unterstützen und Begeisterung füreinander kultivieren. Nicht die ganze Zeit. Nur fünfmal häufiger, als dass sie es nicht tun.

 


Literaturhinweise:

Gottman, J., & Silver, N. (2014). Die Vermessung der Liebe: Vertrauen und Betrug in Paarbeziehungen. Klett-Cotta.

Eikemann, Stefan (2016). Spielraum des Paares. Carl-Auer.

Heinrichs, N., Püffel, M., Lohaus, A., Konrad, K., & Briegel, W. (2020). Gottmans Balance-Theorie im Kontext von Eltern-Kind-Beziehungen. Zeitschrift für Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie, 2020.

 


Dies ist das Blog des Halthafens.

 

Meine Texte ergeben sich aus der Beschäftigung mit psychologischer und systemischer Literatur und Forschung, meinen Erfahrungen in der Paartherapie mit Eltern in meiner Praxis in Darmstadt und der Paarberatung und Paartherapie online sowie aus meinem Leben als Mama von zwei Kindern. Aus meiner Arbeit heraus entwickele ich außerdem psychologische Kinderbücher. Wenn du über neue Texte informiert werden magst, folge mir gerne auf Instagram oder trage dich gern für meinen Newsletter ein.