Wie können Elternpaare mit ihren Kindern über "schwierige" Themen sprechen? Über psychologische Kinderbücher und Sorgenfresser-Briefe

Psychologische Kinderbücher und Sorgenfresser-Briefe für Familien

Abschiede, Verlust, Trennung, und andere Herausforderungen

Es gibt Dinge, die wir nicht mal eben zwischen Tür und Angel besprechen - weder miteinander als Paar noch mit den Kindern.

Manchmal sind dies Themen, die uns selbst in sehr persönlicher Weise betreffen und berühren.
Jeder von uns hat seine eigene Geschichte, seinen liebenswerten Merkmalen, seine Ecken und Kanten. Dass wir in unserem Leben auch unangenehme oder schmerzhafte Erfahrungen gemacht haben und machen, erleben unsere Kinder mit.
Als Eltern sind wir manchmal unsicher, wenn es darum geht, wie wir uns in Bezug auf eigenen Kummer und eigene Sorgen den Kindern gegenüber verhalten sollten. Wir fragen uns, was wir den Kindern erzählen sollten und auf welche Weise. Und wir fragen uns, was wir mit den Kindern nicht besprechen sollten, um sie nicht zu belasten.

In meiner (Online-) Praxis für Paarberatung und Paartherapie setzen Eltern sich beispielsweise mit diesen Fragen auseinander:
Wie erklären wir den Kindern, warum wir als Paar streiten?
Sollen wir den Kindern sagen, dass wir eine Paartherapie machen?
Wie können wir mit den Kindern über eigene seelische Verletzungen sprechen?
Wie erkläre ich meinen Kindern eine psychiatrische Diagnose - oder, dass ich zur Psychotherapie gehe?
Wie sagen wir den Kindern, dass ein Familienmitglied gestorben ist?
Paare, die sich getrennt haben, fragen sich:
Wie erklären wir den Kindern, dass wir uns als Liebespaar getrennt haben?

Es kann für Eltern ein herausfordernder Weg sein, auf diese Fragen Antworten zu finden, denn es geht um individuelle Antworten. Es ist meist ein Weg, der mit der Entwicklung einer Haltung einerseits und dem Finden von passenden Worten andererseits zusammenhängt. Hierbei dürfen wir unbedingt berücksichtigen: Jedes Kind darf mit seinen individuellen Bedürfnissen und Merkmalen berücksichtigt werden. So brauchen manche Kinder beispielsweise mehr Information als andere. Einige Kinder suchen das Gespräch, um neue Informationen mithilfe ihrer Lieblingsmenschen zu verarbeiten, andere Kinder suchen eher das Spiel, um Neues zu integrieren - hier spielt auch das (Entwicklungs-) Alter der Kinder eine Rolle.
Außerdem haben auch Mamas und Papas eigene Vorstellungen davon, was genau dem Kind mitgeteilt werden soll und was nicht.


Und gleichzeitig gibt es einige Punkte, die ganz grundsätzlich bedacht werden dürfen. Einige möchte ich hier zusammenfassen, da sie meines Erachtens nach für Eltern hilfreich sein können, um eine erste grobe Richtung zu finden.


Bitte beachte hierbei, dass sich meine Gedanken in diesem Text auf Kinder ab einem Alter von ca. 3 - 4 beziehen. Auch jüngere Kinder profitieren von der Klarheit und der Feinfühligkeit, die ich hier anspreche, für sie ist jedoch der nicht-sprachliche Ausdruck noch wichtiger.

 

Kinder nehmen Stimmungen wahr - so oder so

Zunächst einmal dürfen wir uns bewusst machen, dass Kinder unsere Stimmungen wahrnehmen - auch, wenn wir nicht mit ihnen über bestimmte Inhalte sprechen.
Innere Zustände zeigen sich in unserer Mimik, in unserer Stimme, Körperhaltung und der Art und Weise wie wir mit den Kindern umgehen.
Je mehr wir beispielsweise selbst mit einem Thema beschäftigt sind, desto weniger Ressourcen haben wir für die Kindern - hierfür haben Kinder ein sehr feines Gespür.

Nun möchten Eltern ihre Kinder nicht mit Dingen belasten, die sie noch nicht verstehen können. Manchmal fehlen die Worte, um kindegerecht zu formulieren. Das ist in Ordnung. Wir dürfen uns die Zeit nehmen, die wir selbst brauchen. Für manche Themen wollen wir erst einmal eine Haltung und eine stimmige Sprache finden, bevor wir mit anderen Menschen darüber sprechen wollen.

Allerdings: Manchmal bleiben wichtige Dinge, die unmittelbar oder indirekt auch die Kinder betreffen, dauerhaft unausgesprochen oder werden zu "Geheimnissen" der Erwachsenen.
Manchmal auch deshalb, weil Eltern die Beziehung zu ihren Kindern nicht belasten wollen. Unausgesprochenes und "Geheimnisse" können Kinder belasten. Wenn sie spüren, dass "etwas nicht stimmt" oder "anders ist als sonst", versuchen sie eigene Erklärungen zu finden.

Wenn wir die Kinder an dieser Stelle ausschließen, haben wir als Eltern keinen Gestaltungsspielraum mehr, denn wir kriegen nicht mit, wenn sie ihre Wissenslücken selbst füllen. Die eigenen Phantasien können belastender sein als das, was wir versuchen zu verbergen.


Kinder können Herausforderungen bewältigen

Im Meer des Lebens gibt es leichte Wogen und steile Wellen. Jeder Mensch steht täglich vor Herausforderungen - manches Mal vor kleineren und manchmal vor großen . Das gilt auch für unsere Kinder.
Kinder können Herausforderungen bewältigen - mit der Unterstützung von uns als feinfühlige Erwachsene. Für Kinder "da zu sein" bedeutet auch, dass wir sie klar und präzise über Dinge informieren, die ihre Lieblingsmenschen und ihren Alltag betreffen. Und hierbei dürfen wir feinfühlige Worte wählen sowie ein Maß an Information, das sie nicht überfordert.
Es ist nicht immer leicht, einerseits klare Worten zu finden und die Kinder andererseits nicht zu überfordern.

Es geht darum, dass wir

  • Kinder von Schuldgefühlen entlasten.
  • erklären, dass die Erwachsenen sich um die "Erwachsenen-Dinge" kümmern: die Kinder brauchen sich nicht mit diesen zu beschäftigen.
  • Kindern helfen, ein Stück gefühlte Kontrolle über die Dinge zurückzugewinnen.
  • Kinder über Veränderungen in der Familie informieren und dabei unterstützen, die Informationen zu "verdauen".
  • den Kindern Worte anbieten, die ihnen helfen, über schwierige Themen zu sprechen.
  • Kindern Gefühle des Vermissens, der Hilflosigkeit, Ärger und Trauer zugestehen und diese (mit-) aushalten.

Psychologische Kinderbücher und Geschichten - Hilfen, um mit Kindern ins Gespräch zu kommen

Eltern können verschiedene Materialien nutzen, wenn sie sich darauf vorbereiten, mit ihren Kindern über ein besonderes Thema zu sprechen.

Kinderbücher eigenen sich wunderbar, um sich inspirieren zu lassen - von der einfachen, kindgerechten Sprache ebenso wie von den Haltungen und Verhaltensweisen der Figuren.
Es gibt inzwischen eine Vielzahl Kinderbücher zu verschiedenen Familienthemen.
Hier gibt es auch "psychologische Kinderbücher", die von Fachleuten entwickelt wurden. In meinen psychologischen Kinderbüchern - und das gilt auch für viele andere Bücher, die von Psycholog*innen oder Psychotherapeut*innen entwickelt wurden - schließt an die Geschichte für Kinder ein Fachteil für Erwachsene an, der Hintergrundwissen vermittelt und Ideen an die Hand gibt.
Themen, die in psychologischen Kinderbüchern aufgegriffen werden sind beispielsweise:

  • Konflikte in der Familien
  • Streit unter Geschwistern
  • Krankheit
  • Tod eines Familienmitgliedes
  • Trennung der Eltern
  • psychische Belastungen und Diagnosen, um sie kindgerecht zu erklären

Manche Kinderbücher sind eher verspielt mit einem lustig-leichten Blick auf Herausforderungen. Andere berühren besonders und legen den Fokus auf die "Schwere" als Teil des Lebens. Hier kann es sich lohnen, sich umzusehen und zu schauen, was für die eigene Familie gerade hilfreich sein kann.


Die kurzen Geschichten meiner Reihe "Kindern unsere Psychologie erklären" können Eltern außerdem nutzen.
Zuletzt habe ich eine kurze Geschichte für Kinder geschrieben, die danach fragen, warum Eltern zur Psychotherapie gehen:        

„Jeder Mensch hat eine Seele. In unserer Seele wohnen unsere Gefühle. In unserer Seele wohnen Erlebnisse mit unseren Lieblingsmenschen - die schönen und auch die schrecklichen. Und in unserer Seele wohnen die kleinen und großen Fähigkeiten, die wir brauchen, um das Leben zu meistern. (Und all diese "Dinge" hängen sogar miteinander zusammen.)

Stell‘ dir die Seele als ein Auto vor. Mit einem großen Kofferraum mit viel Platz für unsere Erlebnisse und Gefühle. Und so fahren wir mit unserer Seele auf der Autobahn des Lebens umher. Manchmal hält das Seelenauto an. Dort, wo es schön sonnig ist. Und manchmal hält das Seelenauto an, weil der Kofferraum zu voll ist. Dadurch können Autoteile kaputt gehen. Beispielsweise können sich Schrauben lockern. 
Zum Glück gibt es die Werkstatt für die Seele.
Dort kann das Seelenautos hin, wenn es nicht mehr so gut fahren kann. Nicht mehr so gut fahren können ist auf Dauer ziemlich doof, weil das Seelenauto dann nicht mehr zu den sonnigen Plätzen fährt. In der Werkstatt für die Seele ist es schön - wenn es eine passende Werkstatt ist.
Und dort ist es auch anstrengend (deshalb sind Mama und Papa ziemlich erschöpft, nachdem sie dort waren). Es gibt in dieser Werkstatt einen Menschen, der helfen kann, weil er oder sie sich mit Seelenautos gut auskennt. Auf ihrem Werkstattschild steht "Psychotherapie" (manchmal auch Beratungsstelle oder Paartherapie). Wenn Mamas und Papas mit ihren Seelenautos zur Therapie "fahren", dann bedeutet das, dass sie mutig sind und den bestmöglichen Umgang mit den Herausforderungen des Lebens suchen. Und das ist auch gut für die Kinder.
Weil die Kinder am liebsten mit Mama und Papa dort sind, wo die Sonne scheint.“


Kindern Briefe schreiben

Manche Eltern schreiben ihren Kindern Briefe zu bestimmten Anlässen. Ein persönlicher Brief kann für ein Kind eine ganz besondere Bedeutung haben. Ein Brief ist meines Erachtens nach ein wertvoller Weg, um mit Kindern über "schwierige Themen" zu kommunizieren. Briefe können individuell an die Lebenswelten einer Familie angepasst werden. Eltern können sich Zeit nehmen, um geeignete Formulierungen zu finden und sich damit auch selbst zu sortieren. Und sie können den Fokus ganz bewusst auf die Ressourcen der Kinder legen. Die Kinder können die Briefe immer wieder lesen (oder vorgelesen bekommen) und haben dadurch einen schriftlichen Begleiter für schwierige Zeiten. Briefe an Kinder können dazu beitragen, die Kinder zu entlasten. Ich nutze daher gerne den Begriff der "Sorgenfresser-Briefe".


Hier ist ein Formulierungsbeispiel, das zeigt, wie kindgerecht formuliert werden könnte.
Eltern, die häufig streiten, können beispielsweise schreiben:

 

„Wir, Mama und Papa*, streiten zurzeit viel. Das hast du ja mitbekommen. Du hälst dir manchmal die Ohren zu. Wir können das gut verstehen. Uns streiten zu hören, bringt dich bestimmt ganz durcheinander - und tut dir im Herzen weh.
Es gelingt uns zurzeit selten, uns miteinander zu unterhalten und gelassen zu bleiben. Auch Mamas und Papas haben manchmal Probleme. Für einige Dinge haben wir noch keine Lösungen gefunden.
Es sind Dinge, die uns Erwachsene betreffen. Du musst dich nicht darum kümmern - das ist unsere Aufgabe und wir gehen sie an. Womöglich wird es noch eine Weile dauern, bis wir besser darin geworden sind, unsere Probleme ohne Streit zu lösen. Danke für deine Geduld mit uns. Du darfst uns sagen, wenn wir beiden Streit-Hörnchen dir auf die Nerven gehen - und auch, wenn du traurig oder ärgerlich bist. Wir sind für dich da. Morgen ist Montag. Wir haben entschieden, montags wird nicht mehr gestritten. Da machen wir Lieblings-Musik an und trinken Kakao mit Sahne.“


Briefe schreiben in der Paar- und Familientherapie

In meiner (Online-) Praxis erarbeiten manche Paare mit mir gemeinsam Briefe für ihre Kinder. Manche Eltern wünschen sich Ideen dazu, wie sie (familien-) psychologische Themen - zugeschnitten auf ihre individuelle Familiensituation - in Worte fassen können.

 

In Worte, die einen Teil der Schwere einfangen und sie greifbar und "händelbar" machen.
In Worte, die den Kindern Zuversicht und Handlungsspielraum geben.

 

Und wie so oft geht es auch hier zunächst um uns als Eltern, die wir uns über das Schreiben Klarheit verschaffen können. Wir dürfen uns auch selbst daran erinnern, dass schwierige Phasen für alle Menschen zum Leben dazugehören. Und daran, dass in ihnen Gelegenheiten liegen, um unsere Ressourcen zu erweitern.

 

* „Mama“ und „Papa“ kann gerne ersetzt werden durch Worte, die für deine Familie „zutrifft“.


Nutze in eurem Familienalltag gerne auch die anderen Geschichten meiner Reihe "Kindern unsere Psychologie erklären":

 

Teil 1 - "Warum weinen wir? - Eine Propellermaschine für unsere Gefühle" (hier findest du die Geschichte)

 

Teil 2 - "Warum trennen sich Eltern? - Wie Sonne und Mond wieder glücklich wurden" (bisher nur veröffentlich als Beitrag auf Instagram)

 

Teil 3 - „Wunderwolken für wichtige Aufgaben - Eine Geschichte, die Kindern erklärt, warum Eltern streiten“ (hier geht es zur Geschichte

 

Teil 5: "Runa und die Zauberstiefel" - Was macht der Zeigarnik-Effekt in Familien? (hier geht es zur Geschichte)


Dies ist das Blog des Halthafens.

 

Meine Texte ergeben sich aus der Beschäftigung mit psychologischer und systemischer Literatur und Forschung, meinen Erfahrungen in der Paartherapie mit Eltern in meiner Praxis in Darmstadt und der Paarberatung und Paartherapie online sowie aus meinem Leben als Mama von zwei Kindern. Wenn du über neue Texte informiert werden magst, folge mir gerne auf Instagram oder trage dich gern für meinen Newsletter ein.