Psychische Befindlichkeit während einer Hyperemesis Gravidarum - über den Umgang mit einem Monster und der Einsamkeit.

Körperliche und psychische Belastungen durch Hyperemesis Gravidarum

Monster sind manchmal groß und unangenehm. Manchmal nahezu unerträglich - und hartnäckig.

Ein solches Monster, das auch mir zweimal im Leben begegnet ist, heißt "Hyperemesis Gravidarum".

 

Hyperemesis Gravidarum ist die Schwangerschaftskomplikation, bei der Frauen extreme Übelkeit haben (bis zu 24 Stunden) und extrem häufig erbrechen (zum Beispiel 20, 30 oder 40 Mal am Tag).

Es ist die Schwangerschaftskomplikation, bei der Frauen wenig essen oder trinken können - manchmal gar nichts.

Die Hyperemesis Gravidarum dauert meist lange an (z.B. 7 oder 8 Monate - oder bis zur Geburt).

Es ist eine Schwangerschaftskomplikation, die für Mama und Baby lebensbedrohlich werden kann.

 

In (lebens-)bedrohlichen Situationen brauchen wir Hilfe. Und Halt.

Hyperemesis-Monster blasen sich einerseits wahnsinnig auf. Sie kosten betroffenen Frauen ihre ganze Kraft, stellen alles auf den Kopf.

Hyperemesis-Monster haben selten Lust auf Normalität: Sie machen nicht mit beim Familienleben mit den Kindern, wenn es schon Geschwisterkinder gibt. Und auch nicht beim Berufsalltag. Oder beim Schwangerschaftsyoga. Kleidung für Neugeborene auswählen. Kinderzimmer gestalten. Babyshower. Freund*innen treffen. Nochmal Zeit zu zweit.

 

Und das ist das Dilemma: Denn andererseits werden Monster ruhiger, wenn wir jemanden haben, der uns die Hand hält. Oder in den Arm nimmt.

 

Wenige Menschen aus dem Umfeld können mit Hyperemsis-Monstern richtig gut umgehen. Oder verstehen ihre Sprache.

Wenige Menschen, die eine Hyperemesis Gravidarum nicht selbst erlebt haben, können nachempfinden. Zum Beispiel, wenn ein Treffen nur in einem abgedunkeltem Raum zu einer ganz bestimmten Stunde am Tag stattfinden kann.

Wenige Menschen möchten wirklich hören, welche Symptome eine Hyperemesis mit sich bringt.

Ja. Das ist normal.

Und nachvollziehbar.

 

Für betroffene Frauen bedeutet es:

Eine Hyperemesis macht einsam.

 

Wie wir mit Monstern umgehen können

Manchmal vergrößert sich die Einsamkeit dadurch, dass betroffenen Frauen von sich selbst irritiert sind. Durch das eigene Denken, Fühlen und Handeln.

Diese haben in einer Schwangerschaft mit einer Hyperemesis Gravidarum oft nichts mit dem zu tun, was Frauen erwartet hätten.

 

Wenn du betroffen bist, bedenke, dass mit einer Hyperemesis sowieso alles anders ist, als zu erwarten wäre.

Es ist normal, wenn du dich nicht über die Schwangerschaft freust.

Es ist normal, wenn du bereust, schwanger geworden zu sein.

Das alles hat nichts mit dir und deinem Baby zu tun. Sondern mit dir und der Hyperemesis.

Die Freude kommt dann, wenn sie dran ist. Das ist manchmal erst am Ende der Schwangerschaft. Oder danach. Vielleicht lange danach.

 

Was bleibt?

 

Ein langsames Kennenlernen ist meistens hilfreich, um mit einem Monster einen Umgang zu finden. Denn jedes Monsters ist anders. Vielleicht ist es möglich, interessiert zu beobachten: "Aha, so bist du also!".

Hyperemesis-Monster sind sehr anspruchsvoll. Es gibt keine vorformulierten Lösungen. Wenn es beispielsweise darum geht, genug Flüssigkeit bei sich behalten zu können, gibt es manchmal bestimmten Tages - oder Nachtzeiten, zu denen Frauen trinken können. Und, wenn es nur in der Nacht möglich ist, zu trinken, dann muss in der Nacht getrunken werden und am Tag geruht.

Die Aufgabe einer Frau in einer Hyperemesis-Schwangerschaft ist:

(physisch und psychisch) überleben und dafür sorgen, dass das Kind sich entwickeln kann.

Nicht mehr. Und nicht weniger.

 

Manche Eltern basteln Monster-Spray, um mit ihren Kindern die Monster aus dem Kinderzimmer zu verjagen - wenn die Kinder vermuten, dass da irgendwo ein Monster sitzt.

In meiner Hyperemesis-Schwangerschaft hatte ich auch ein "Monster-Spray": Orangenöl. Das Monster ist dadurch nie ganz weggegangen. Aber es hat sich manchmal, für den Bruchteil eines Moments, ein wenig beruhigt.

 

Meines Erachtens nach geht es im Umgang mit einer Hyperemesis Gravidarum genau darum:

Akzeptieren, dass unser Monster (vorerst) bleibt. Und wir dürfen den bestmöglichen Umgang damit finden. Auch, wenn dieser bestmögliche Umgang nicht das ist, was wir uns gewünscht hätten.

 

Da ist es ähnlich wie im Umgang mit anderen große Hürden und Herausforderungen im Leben, die uns an unsere Grenzen bringen - oder dazu, über diese hinauszugehen.

Und jeder Mensch hat seine eigenen Herausforderungen: Krankheit, Verlust, Abschiede - von Menschen, die in unserem Herzen wohnen.

 

Und somit sind Frauen mit einer Hyperemesis Gravidarum am Ende vielleicht doch nicht ganz so alleine, wie es sich für sie manchmal anfühlt.

 

Und manchmal, in den wenigen Augenblicken, in denen es etwas besser geht, kannst du dem Monster vielleicht Schuhe anziehen und ein T-Shirt oder ein Kleid, dich mit ihm feierlich, oder auch gar nicht feierlich, hinlegen und durchs Fenster in den Himmel schauen und spüren, dass du lebst.

Und dir sagen: "Dieses Monster wird sich beruhigen"

 

Das ist sicher.


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Meine Texte zum Thema "Hyperemesis Gravidarum" fassen meine persönlichen Erfahrungen mit der Hyperemesis und meine Gedanken als Psychologin zusammen. Er ersetzt keine individuelle ärztliche Beratung. Meine Ideen erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder Gültigkeit für jede Frau und Familie. Ich möchte Ideen zusammentragen und mit ihnen zu einem feinfühligen und kompetenten Umgang mit dem Thema beitragen.

 

Für Frauen, die sich während oder nach einer Hyperemesis Gravidarum individuelle psychologische Unterstützung wünschen, biete ich E-Mail-Beratung in kleinem Umfang an. Wenn du dich hierfür interessierst, kontaktiere mich gerne mit all deinen Fragen.


Dies ist das Blog des Halthafens.

 

Meine Texte ergeben sich aus der Beschäftigung mit psychologischer und systemischer Literatur und Forschung, meinen Erfahrungen in der Paartherapie mit Eltern in meiner Praxis in Darmstadt und der Paarberatung und Paartherapie online sowie aus meinem Leben als Mama von zwei Kindern. Wenn du über neue Texte informiert werden magst, folge mir gerne auf Instagram oder trage dich gern für meinen Newsletter ein.