Corona und das Frühlingserwachen. Wie schwierige Zeiten unsere Beziehungen als Paar und als Eltern beeinflussen und was wir tun können.

 

Wir fallen derzeit aus dem Gleichgewicht unserer Normalität.

 

Neue Herausforderungen.

Sorgen.

Unsicherheit.

Ein seltsames Lebensgefühl.

Veränderungen im Alltag:

 

Der äußere Rhythmus ist für die meisten von uns gerade ein anderer.

Und auch der innere Rhythmus.

Und beide hängen zusammen:

 

Im Alltag schwingen wir fortlaufend hin und her.

Aus der Ruhe in die Aktivität.

Und wieder zurück.

Der Rhythmus unseres Nervensystems zeigt sich auch in unseren Beziehungen.

In der Partnerschaft. Und als Eltern.

Wir beschäftigen uns aktiv miteinander.

Hören zu. Fragen nach. Schauen hin.

Und tun Dinge für ein gemeinsames Ziel (aktiver Beziehungspol).

Und anschließend wenden wir uns etwas anderem zu (passiver Beziehunsgspol).

Bis wir uns schließlich wieder miteinander beschäftigen. So pendeln wir zueinander hin und voneinander weg.

 

Entspannt-gemütlich gelingt das Miteinander nur dann, wenn wir uns in unserem persönlichen Wohlfühl-Wohnzimmer befinden. Ich schreibe gerne über das Wohlfühl-Wohnzimmer und unsere Treppe in die Wut und die Treppe in den Keller der Erschöpfung:

Je höher unsere eigenen inneren Amplituden sind, desto eher erreichen wir die Wut oder die Erschöpfung.

Und wenn wir einmal dort angekommen sind, dann interessieren wir uns nicht mehr füreinander. Schicken uns gegenseitig weg. Meckern uns an. Schieben uns gegenseitig die Schuld zu. Und so weiter.

 

Um möglichst selten die Treppe hoch oder runterzufallen und stattdessen im Gleichgewicht zu bleiben, brauchen wir Ressourcen.

 

Eine dieser Ressourcen, eine der elementarsten, ist der Kontakt zu Menschen, die uns am Herzen liegen.

Gespräche.

Gemeinsam Essen.

Spielen.

Körperkontakt.

Gesten. Ein Lächeln zum Beispiel.

 

In dieser besonderen Zeit fällt gerade ein großer Teil unserer Kontaktressourcen weg.

Weil Geschwister, Eltern und Großeltern nicht an der Haustüre klingeln. Auch nicht am Geburtstag.

Weil Arbeit zu Hause stattfindet und das Mittagessen mit dem Team fehlt.

Weil die Café-Stunde mit den Freund*innen auf unbestimmte Zeit gestrichen ist.

Weil die Freund*innen aus Kindergarten und Schule nicht besucht werden können.

Und das rot-weiße Band am Spielplatz zum Ausdruck bringt, dass Spielen hier gerade nicht dran ist.

 

All das ist sinnvoll und wichtig. Der Kopf weiß es.

Und gleichzeitig fühlen wir uns seltsam.

Unser Bindungsbedürfnis weist uns ausdrücklich darauf hin, dass gerade etwas schief hängt.

 

Was ist die Folge davon, wenn der Kontakt zu anderen Menschen teilweise wegfällt?

 

1. Wir suchen nach Alternativen für unsere Regulation.

Manchmal finden wir welche.

Und manchmal fordern diese Alternativen die Menschen heraus, mit denen wir leben.

Wenn beispielsweise die oder der Partner*in am Abend plötzlich die Musik besonders laut aufdreht. Oder vom Waldspaziergang erst nach dem Abendessen zurückkommt.

Oder wenn die Kinder besonders viel Süßes essen. Oder schon zum Frühstück am liebsten auf Töpfe trommeln.

 

2. Wenn es uns nicht gelingt, das Ressourcenloch zu füllen, werden die Amplituden unserer Stimmungen größer. Und stufenweise rutschen wir aus unserem inneren Gleichgewicht - in den Ärger oder die Erschöpfung.

Das wirkt sich auf unsere Partnerschaft aus. Und auf die Kinder.

Und dann hängen wir in der nächsten Kettenreaktion.

Denn: wenn einer in der Familie aus seinem Rahmen hüpft, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die anderen ihm folgen.

 

Was können wir in dieser Situation tun, in der Teile unserer elementarsten Ressource wegbrechen?

 

1. Wir dürfen eine Haltung für diese besondere Situation entwickeln. Und für ihre Auswirkungen auf unsere Partnerschaft und auf uns als Eltern:

 

Es ist normal, dass wir uns in besonderen Situationen in besonderer Weise verhalten.

Es sind Regulationsversuche.

Die dürfen von außen betrachtet durchaus merkwürdig aussehen.

Das dürfen wir bei uns selbst so sehen und auch bei den Menschen mit denen wir leben.

 

Immer dann, wenn die empfundene Unsicherheit größer wird, wächst unser Bedürfnis nach Sicherheit. Das macht uns anfällig dafür, alles mögliche kontrollieren zu wollen.

Kontrolle als allgemeine Strategie. Auch zu Hause.

Nur: vieles von dem was wir im Griff haben wollen lässt sich nicht kontrollieren.

Wie die oder der Partner*in die Situation verarbeitet beispielsweise.

Und die Stimmungen der Kinder lassen sich nicht vorhersagen. Große Gefühle gehören zu ihnen. In diesen Zeiten besonders.

 

Wir dürfen die Erwartung, dass es zu Hause geradlinig weitergeht im Winter zurücklassen.

Das Altbekannte ist gedacht für einen anderen Alltag. Auf der Suche nach Neuem stolpern wir manches Mal - auch übereinander. Und da ist es normal, dass Ärger und Erschöpfung einen größeren Platz zu Hause einnehmen.

Und auch wenn die Stimmungs-Amplituden jetzt größer sind, gibt es einen Rhythmus. Rein in den Stress miteinander - und es geht auch wieder raus.

 

Und gleichzeitig dürfen wir als erwachsene Menschen Verantwortung übernehmen. Dafür, dass die Amplituden unserer Stimmungen nicht unseren eigenen Rahmen sprengen. Und damit vielleicht den der Menschen um uns herum.

 

Deshalb:

 

2. Wir dürfen neue Strategien entwickeln, um Kontaktressourcen zu aktivieren.

 

Wir können uns online zusammen aufs Sofa setzen. Und an den Esstisch. Oder online gemeinsam zum Sport gehen.

 

Wir können Fotos aufhängen - von Menschen mit denen wir in Verbindung bleiben wollen.

Die Freund*innen. Die (Groß-) Eltern. Die Kindergruppe. Die Tagesmutter. Und so weiter.

Wir können jemanden auch dadurch nach Hause holen, indem wir uns fragen, was das Wertvollste ist, das dieser Mensch in einer früheren schwierigen Situation zu uns gesagt hat. Wir können es aufschreiben. Und aufhängen an der Haustüre die gerade geschlossen bleibt.

 

Wir können gemeinsame Rituale vereinbaren, die wir zur gleichen Zeit ausführen - jeder von zu Hause aus.

 

Wir können Musik nutzen.

Um Kontakt zu uns selbst herzustellen. Wenn wir morgens und in schwierigen Momenten die Songs spielen, die uns schon durch andere schwere Zeiten hindurchgetragen haben. Oder uns daran erinnern, dass es die Leichtigkeit immer noch gibt.

Oder wir hören uns die Songs an, die uns mit den Menschen verbinden, die gerade fehlen.

 

Und allem voran dürfen wir uns auch in schwierigen Zeiten eine schöne Zeit mit den Menschen machen, mit denen wir zusammenleben.

 

Ich bin vor ein paar Tagen beim Waldspaziergang an einem Garten vorbeigelaufen. Dort hat eine Familie Stockbrot gemacht. Es erinnerte mich an das ganz normale Leben - auf das wir alle uns freuen.

Wir dürfen kreativ sein beim Versuch uns das ganz normale Leben nach Hause zu holen.

Für mich gehört zum Beispiel Stockbrot über dem Grill im Frühling dazu.

Und wenn das Grillen ausfällt: Stockbrot lässt sich auch im Backofen machen. Und auch ohne Mehl - das schon längst ausverkauft ist.

 

Um die Ecke denken.

Auf allen Ebenen.

 

Die Kreativität aus dem Winterschlaf holen.

Es wird Frühling.

 


Hinweis:

Wenn du dir in der momentanen Situation große Sorgen machst und es dir oder einem anderen Familienmitglied sehr schlecht geht, kannst du dich von zu Hause aus beraten lassen.

Einige Familienberatungsstellen bieten derzeit Telefonberatung an. Die Beratungsstellen findest du über die Website der bke (Bundeskonferenz für Erziehungsberatung).

Der BDP (Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen) hat eine Corona-Hotline für psychologische Beratung eingerichtet. Hier kann sich jeder anonym und kostenfrei beraten lassen kann.


Dies ist das Blog des Halthafens.

 

Meine Texte ergeben sich aus der Beschäftigung mit psychologischer und systemischer Literatur und Forschung, meinen Erfahrungen in der Paartherapie mit Eltern in meiner Praxis in Darmstadt und der Paarberatung online sowie aus meinem Leben als Mama von zwei Kindern. Wenn du über neue Texte informiert werden magst, folge mir gerne auf Instagram oder trage dich gern für meinen Newsletter ein.