Handwerk der Eingewöhnung. Feilen für ein Band das trägt in der Betreuung.

Die Zeit von Sommer bis zum Jahresende ist die Zeit der Eingewöhnung für viele Kinder. Bei Tagesmüttern. In Krippen. Kindergärten. Und in Schulen (auch wenn es hier selten so benannt wird. Und kaum Begleitung durch Eltern vorgesehen ist).

In dieser Zeit höre ich viele Geschichten. Durch meine Arbeit. Und im privaten Umfeld.

Da werden Bänder geknüpft. In Form von Kennenlernen. Fürsorge. Gemeinsamen Erlebnissen. Abenteuern. Und Zeit.
Es wird gehäkelt. Mit feinen Nadeln. Und in bunten Farben. Solange bis Kinder und Eltern mit den "neuen Menschen" so dicht verwoben sind, dass ein Band entstanden ist. Das trägt.

Und mancherorts wird auch 2019 mit Hammer und Brechstange vorgegangen. In Phasen in denen alle (Eltern, Kinder und Erzieher*innen und Lehrkräfte) ein watteweiches Polster aus Zeit und Feinfühligkeit bräuchten.

... Wenn Stress-Signale von Kindern nicht beachtet werden.
Und normales Verhalten pathologisiert wird.
Wenn Eltern sich in Windeseile verabschieden sollen. Zum Beispiel in Kindergärten. Und die Familien bei diesem Tempo nicht nachkommen.
Oder wenn Abschiedszeremonien empfohlen werden. Zum Beispiel in Krippen. Für Kinder die Abschied noch nicht rational verarbeiten können.
Wenn beim Mittagessen übersehen wird, dass manche Kinder auch hier ihre Verbindung nach Hause brauchen. Ihre "Übergangsobjekte". Pferd und Löwe zum Beispiel, die mitessen wollen. Und die von Erwachsenen versteckt werden. Weil die Regel es so will.
Wenn in Schulen übersehen wird, dass auch Grundschulkinder auf die Trennung von ihren Eltern reagieren dürfen. Und dass die Art der Verarbeitung eine Rolle spielt.

... Wenn Unsicherheiten von Eltern unter den Teppich gekehrt werden.
Wenn feinfühliges Verhalten von Mamas und Papas problematisiert wird.
Wenn sie als "Klammeraffen" bezeichnet werden. Oder "Kühlschränke". Und verschiedene Aspekte aus den Bereichen der Bindungforschung und Psychopathologie von Jedermann vermischt werden zu einer Mischung aus Abwertung und Druck.

... Wenn grundlegende Bedürfnisse von Erzieher*innen, Tageseltern und Lehrkräften nicht berücksichtigt werden.
In der Ausbildung werden manche Wissenslücken auf die Schnelle zuzementiert. Oder dauerhaft offen gelassen. Ohne Hinweisschild, dass Sturzgefahr besteht.
Wenn übersehen wird, welche Vielzahl von Aufträgen und Vorstellungen sie versuchen unter einen Hut zu kriegen. In viel zu kurzer Zeit. Mit viel zu wenig Unterstützung.

Und auf allen Ebenen: es geht zu Lasten der Kinder.

Insbesondere auch zu Lasten der Kinder die zum Zeitpunkt der Eingewöhnung ohnehin in einer (entwicklungsbedingt) herausfordernden Phase stecken.
Für manche Kinder ist eine Eingewöhnung im Alter zwischen einem Jahr und eineinhalb Jahren eine besondere Herausforderung. Wenn die "primären Bindungen" sich nochmal festigen.
Oder zwischen 18 und 24 Monaten. Wenn Kinder wieder besonders viel Nähe suchen.
Für manche Kinder ist eine Eingewöhnung im Alter von drei Jahren eine besondere Herausforderung. Wenn Verabschieden noch so schwer fällt. Oder mit vier Jahren. Wenn zu viel erwartet wird. Weil ein Kind "zu den Großen" gehört.

Kleinkinder drücken sich unter anderem über Weinen aus. Es ist Teil ihrer Kommunikation. Je jünger sie sind, umso mehr.
Viele Eltern von Kleinkindern, die noch nicht sprechen, beschäftigt die Frage, ob und wie viel Weinen bei Kindern in der Betreuung ok ist. Vor allem bei der Eingewöhnung. Was da Hinweise sind, dass alles ok läuft. Und Hinweise darauf, dass es zu viel für die Kinder ist.
Wie immer hängt das davon ab, was die Kinder in welche Weise verarbeiten. Und Hinweise auf Überforderung zeigen sich, wenn wir schauen, wie die Kinder sich verhalten. Im Alltag. Und insbesondere auch beim Abholen.

So oder so:
Wir brauchen meines Erachtens nach fundierte Ausbildung für alle Menschen, die mit Kindern (in bindungsrelevanten Situationen) arbeiten.
Nein. Es sieht nicht danach aus, als ob das die Richtung ist. Wenn wir uns die aktuellen Pläne auf politischer Ebene ansehen. Um dem Fachkräftemangel entgegen zu wirken, soll die Ausbildung für Erzieher*innen verkürzt werden. Wo bereits unter den aktuellen Bedingungen das Thema "Eingewöhnung" nicht überall in der Ausbildung drankommt.

Was bleibt Eltern?

Die gemeinsame Zeit verlängern. Bei den Kindern bleiben, bis sich Vertrauen zu den neuen Bezugspersonen entwickelt hat.

Manchmal das Wissen darüber, wo es Unterstützung gibt. (Eltern dürfen sich professionelle Unterstützung holen. Wenn ihnen oder ihrem Kind die Eingewöhnung Bauchschmerzen bereitet. Und: Auch Betreuungsfachkräfte dürfen sich Unterstützung holen. Bei Unsicherheiten, ob alles ok läuft. Das ist ein Zeichen von Qualität.)

Den Blick immer wieder darauf richten, dass wir letztlich alle das Gleiche wollen: Leichtigkeit im Alltag. Und: dass die Leichtigkeit eher Platz nimmt, wenn wir miteinander arbeiten. Statt gegeneinander.

Ausschau halten. Nach den Orten an denen Bänder geknüpft werden.
Nach den Orten an denen individuelle Lösungen zusammengewerkelt werden. Durch Feilen. Schmirgeln. Verändern bis es passt.

Wo kann gefeilt werden? Und verändert?

Der Bezugspersonenwechsel. Eine Grund-Harmonie zwischen Kind und Erwachsenem ist die Voraussetzung für eine neue sichere Bindung. Wenn diese Harmonie nicht da ist, findet sich vielleicht ein anderes Tandem.

Die Anzahl der Tage für die Betreuung. Insbesondere für Kinder unter 4 bis 5 Jahren eventuell können weniger als fünf Tage in der Woche in der Betreuung Sinn machen.

Die Abhol- und Bringzeiten. Hier spielen individuelle Rhythmen eine Rolle.

Die Person, die morgens begleitet. Für Kinder macht es manchmal einen Unterschied, ob Mama, Papa oder vielleicht auch eine andere vertraute Person sie bringt. Zur Tagesmutter. Oder in den Kindergarten. Weil das Ausmaß des Abschiedsschmerzes davon abhängt, wo eine Person in der Bindungshierarchie steht.

Wenn die Situation sich nicht entspannt, kann es Sinn machen zu prüfen, ob das Konzept Kindergarten (oder Krippe) überhaupt passt. Und prüfen, wie andere Lösungen aussehen könnten.

Ja. Ich weiß. Manchmal gibt es wenig Spielraum. Weil die Zeit drängt und die Ressourcen knapp sind: Der Jahresurlaub ist begrenzt. Die Elternzeit schon ausgeschöpft. Und die Großeltern sind zu weit weg.

So oder so. Es ist wie in allen Bereichen des Lebens. Wir dürfen Entwürfe machen. Ausprobieren. Feilen, schleifen, hobeln. Erfahrungen sammeln. Bewerten. Und anpassen.
Und ja. Kinder kriegen es auch für eine Zeit lang unter herausfordernden Bedingungen hin. Ohne dass das Fundament gleich wackelt.
Nur sollten wir in einem Punkt keine Experimente machen: mit dem Bedürfnis unserer Kinder nach einem Band, das trägt.


Dies ist das Blog des Halthafens.

 

Meine Texte ergeben sich aus der Beschäftigung mit psychologischer und systemischer Literatur und Forschung, meinen Erfahrungen in der Paartherapie mit Eltern in meiner Praxis in Darmstadt und der Paarberatung online sowie aus meinem Leben als Mama von zwei Kindern. Wenn du über neue Texte informiert werden magst, folge mir gerne auf Instagram oder trage dich gern für meinen Newsletter ein.